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Die EU verstehen (Fortsetzung)


Teil 2

Was heißt Solidarität ?



Schon in der Präambel des EU-Vertrags ist von der Solidarität1 zwischen den Völkern der EU die Rede. An sieben Stellen im EU-Vertrag2 wird Solidarität oder Handeln im Geiste der Solidarität eingefordert, der Vertrag über die Arbeitsweise der EU enthält gar eine Solidaritätsklausel3. Und immer wieder ist in beiden Verträgen davon die Rede, bestimmte Bereiche der Politik seien für die Mitgliedstaaten „Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse“, wo solidarisches Handeln zum Vorteil aller gerate. Warum fällt es den Regierungen der EU-Staaten aber mitunter so schwer, im Geiste der Solidarität zu handeln? Nehmen wir ein nahe liegendes Beispiel: Deutschland.

Jedes Mitglied einer deutschen Regierung muss bei Amtsantritt einen Eid sprechen, den das Grundgesetz4 vorschreibt und in dem es heißt, der Eidesleistende werde seine „Kraft dem deutschen Volke widmen, seinen Nutzen mehren (und) Schaden von ihm wenden“. Von Europa steht darin nichts. Nun ist es denkbar, dass manches, was den Nutzen des deutschen Volkes mehrt, der EU als Ganzes oder einigen ihrer Mitgliedstaaten zum Schaden werden kann. Nehmen wir als Beispiel nur die Exportstärke Deutschlands. Und andersherum gedacht: Manches, was deutsche Politik im Interesse des vereinten Europas tun muss, kann dem deutschen Volke schaden oder zumindest seinen Nutzen nicht mehren. Nehmen wir hier als Beispiel die Position Deutschlands als Nettozahler5.

Kann ein deutscher Minister dadurch in einen Gewissenskonflikt geraten? Könnte es dazu kommen, dass besagter Eid ein deutsches Regierungsmitglied verpflichtet, eine Handlung zu unterlassen, die von der EU verlangt wird? Kann es sein, dass jemand den geleisteten Eid verletzt und sich womöglich strafbar macht, wenn er etwas tut, was die Solidarität unter EU-Staaten von ihm verlangt, aber gegen deutsche Interessen verstößt?

Natürlich nicht, denn das, was der Eid von einem Regierungsmitglied fordert, ja, wozu es ihn verpflichtet, ist auslegungsfähig formuliert, also der Interpretation offen. So kann eine politische Entscheidung, die auf den ersten Blick und kurzfristig bewertet dem deutschen Volk schadet, bei intensiver Betrachtung und auf längere Frist durchaus von Nutzen sein. Außerdem kann ein Schaden etwa im Bereich der Geldwertstabilität – Ansteigen der Inflation – durch einen Nutzen im Bereich der Beschäftigungspolitik – Absinken der Arbeitslosigkeit – wettgemacht und dadurch hinnehmbar werden. Und ist der Nutzen, der uns entsteht, weil die europäische Einigung Kriege mit ihren unermesslichen Schäden hierzulande unvorstellbar gemacht hat, nicht so groß, dass er alle anderen Nachteile aufwiegt?

Und doch: Eid hin oder her, jedes deutsche Regierungsmitglied, ob Chef oder Minister, hat bewusst oder unbewusst die Reaktion der deutschen Öffentlichkeit und damit der Wähler im Blick, wenn im Rahmen der EU Entscheidungen anstehen. Ist die Opposition im Bundestag dafür oder dagegen? Wie ist die Position der Länderregierungen im Bundesrat? Haben sich die Gewerkschaften oder die Arbeitgeber im Vorfeld der Entscheidung geäußert? Was schreiben die Medien? Hat die Legislaturperiode erst begonnen oder stehen Wahlen vor der Tür?

Machen wir uns nichts vor: Die europäische Einigung wird von vielen Menschen überwiegend nach einem messbaren, also vor allem wirtschaftlichen Nutzen bewertet, sie suchen Europa mit der Krämerseele. Solidarität aber ist ihrem Wesen nach ethisch motiviert, sie steht wirtschaftlichen Interessen mitunter entgegen, ihr Nutzen entzieht sich ökonomischen Bewertungen. Hinzu kommt, dass tätige Solidarität zwei Seiten hat, eine, die Hilfe braucht, eine andere, die hilft. Das heißt: Ein wirtschaftlicher Nutzen liegt unmittelbar nur beim Empfänger. Noch verzwickter wird es, wenn die Ursache für eine Notlage, die solidarisches Handeln verlangt, nicht eindeutig ist. Bei Katastrophen wie Überschwemmungen oder Erdbeben wird klaglos, ja freudig gespendet und geholfen. Aber wie ist es, wenn ein Land aus anderen Gründen in Not geraten ist?

Die Frage – oder auch: das Problem – der Solidarität in der EU spielt vor allem in der Außenpolitik (Stichwort: Militäreinsätze), in der Innenpolitik (Stichwort: Asyl), im Haushaltsbereich (Stichwort: Nettozahler) und in der Währungsunion (Stichwort: Verschuldungskrise) eine große Rolle. Versuchen wir eine Antwort zu finden an einigen Beispielen: der Krise in der Währungsunion und dem Problem mit Flüchtlingen, die in der EU Asyl suchen.


1 Definition siehe Glossar

2 Art. 2, 3 Abs.3 und 5, Art. 21, Art. 24 Abs. 2 und 3, Art. 31 Abs. 1

3 Art. 222 AEUV

4 Art. 56 GG

5 Rein buchhalterisch gerechnet führt Deutschland mehr Geld an die EU ab, als es von Brüssel an vertraglich vereinbarten Leistungen wieder zurückbekommt


Beispiele zur Solidarität (auf gewünschten Titel klicken)

1) Der Euro, die eigenartige Währung

2)  Asyl ! Asyl !

3) Fazit Solidarität