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Die EU verstehen (Fortsetzung)

 

 

Fazit 4: Solidarität

Solidarität hat stets zwei Seiten: Einen Leidenden, der Solidarität in Anspruch nimmt oder Anspruch darauf hat, und einen zweiten, der Solidarität leistet oder zur Solidarität verpflichtet ist. Solidarität ist also, wenn sie nicht eine leere Worthülse in Sonntagsreden bleibt, stets mit einer Transferleistung verbunden, entweder in Finanzmitteln oder in Sachleistung, wozu auch Arbeitsleistung zu zählen ist.

Unverschlüsselt gesagt, fordert Solidarität von der gebenden Seite Verzicht. Verzicht ist keine politische Kategorie. Verzicht gehört im gesellschaftlichen Leben in den Bereich Ethik. Voraussetzung von solidarischem Handeln ist ein Empfinden von Zusammengehörigkeit, das sich darin äußert, dass der Einzelne oder Gruppen von Menschen anderen in einer Notlage Hilfe leisten. Solidarische Hilfe zwischen Menschen ist im Idealfall selbstlos, sie erwartet keine Gegenleistung. Im Zwischenmenschlichen Bereich bedarf Solidarität also keiner gesetzlichen Regelung. Das Bürgerliche Gesetzbuch stuft sie unter sittlichen Pflichten ein. Die durch solidarisches Handeln übertragenen Werte können nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war.

Das wirft Fragen und Probleme auf im solidarischen Handeln zwischen Staaten, das zwangsläufig in schriftlicher Form geregelt sein muss, was dem „normalen“ menschlichen Handeln und Empfinden eigentlich widerspricht. Im Lissabon-Vertrag taucht der Begriff zwanzigmal auf. Solidarität ist einer der Werte, auf die die Union sich gründet[1]. Die Union fördert die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten[2], sie lässt sich auch im auswärtigen Handeln vom Grundsatz der Solidarität leiten[3], ebenso bei der Entwicklung einer gemeinsame Asylpolitik[4], überhaupt soll der Geist der Solidarität das gesamte Handeln der EU leiten.

Verbindliches Handeln der Mitgliedstaaten fordert die Solidaritätsklausel in Titel VII AEUV für den Fall, dass ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. Dieses Handeln setzt voraus, dass der betroffene Staat die anderen um Hilfeleistung ersucht[5]. Ordnung muss sein, auch wenn der Himmel einfällt. Deshalb ist dem Lissabon-Vertrag eine Erklärung angefügt[6], die klärt, dass keine der Bestimmungen des Artikels 222 AEUV darauf abzielt, „das Recht eines anderen Mitgliedstaats zu beeinträchtigen, die am besten geeigneten Mittel zur Erfüllung seiner Verpflichtung zur Solidarität gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat zu wählen“. Man sieht, Solidarität zwischen Mitgliedstaaten der EU ist keine einfache Angelegenheit.

 

[1] Art 2 EUV

[2] Art. 3 EUV

[3] Art. 21 EUV

[4] Art. 67 AEUV

[5] Art. 222 AEUV

[6] Erklärung Nr. 37 zu Artikel 222 AEUV