Hauptnavigation

Seiten-Inhalt

eins zwei drei...


„eins zwei drei vier fünf sechs sieben... Eine Geschichte des Zählens und der Zähler“

Fortsetzung (Teil 2)




Das Wort Million tauchte im 13. Jahrhundert zuerst in Italien auf. Es bedeutete „mille“ (= tausend) mit der vergrößernden Endsilbe „–one“, also gewissermaßen vieltausend. Marco Polo, der reisende Venetianer des 13. und 14. Jahrhunderts, bekam den Spitznamen „Millione“. Als er nämlich aus dem Großreich des Khublai Khan nach Venedig zurückgekommen war, erzählte er phantastische Geschichten vom Land im fernen Osten, wo in den Städten „milli-one“ Menschen lebten, Vieltausende also. Man glaubte ihm nicht, und so hatte er seinen Necknamen weg. Der Hof in Venedig, wo das Haus der Polos stand, hieß noch lange Zeit Corte del Millioni; heute heißt er Corte Sabbionera. Auf deutschem Boden ist die Million erstmals 1448 nachzuweisen, in einem Schriftstück aus Nürnberg. Die Milliarde wurde etwa im 16. Jahrhundert „erfunden“, zunächst als Bezeichnung für die schier unvorstellbare Zahl Million mal Million (10<sup>12</sup>), erst später dann als Zahlwort für tausend Millionen. In Deutschland wurde das Wort Milliarde erst nach dem Kriege 1870/71 populär: Das besiegte Frankreich musste damals fünf Milliarden Franc Reparation an das frisch in Versailles proklamierte Deutsche Reich bezahlen. Ein Gründerrausch erfasste damals die Deutschen, als das Geld über die Grenzen floss; innerhalb eines Jahres wurden damals mehr Aktiengesellschaften gegründet als im halben Jahrhundert davor zusammen. Auch zur Popularisierung der Billion musste ein trauriges Ereignis herhalten, die Inflation. Um die ins Astronomische gestiegenen Preise überhaupt noch aussprechen zu können, rechnete man schlicht in Billmark, wohinter sich die ungeheure und damals doch lächerliche Summe von einer Billion Mark verbarg. Billion, Trillion, Quadrillion und noch größere Zahlen bezeichnende Wörter sind einfache Zusammenziehungen von bis-million (Zwei-Million), tri-million (Drei-Million) und so weiter.


Ist man erst einmal in die Trillionen und Quadrillionen gestiegen, die ja menschliche Vorstellungskraft weit übersteigen, so taucht prompt die Frage auf, wie hoch man denn überhaupt zählen könne, welches die größte Zahl sei. Nun, die Antwort ist so leicht wie auf die Frage, ob es Hexen gäbe: Es gibt sie nicht, die größte Zahl. Die Zählreihe ist unbegrenzt, unendlich. Und man kann, wenn man will, für jede schreibbare Zahl auch eine Bezeichnung finden, und sei es eine Zahl mit hundert oder gar tausend und noch mehr Stellen. Dennoch ist die Suche nach immer größeren Zahlen ein Spiel, das schon vor dreitausend Jahren die Menschen faszinierte.


Das wahrscheinlich älteste Zählspiel mit Riesenwerten stammt aus Indien. Es ist ins Buch Lalita-vistara eingegangen, das um 300 vor unserer Zeitrechnung geschrieben wurde und vom Leben Buddhas berichtet. Als Buddha noch der junge wohllebende Prinz Siddhartha war, warb er um Gopa, die Tochter des Fürsten Dandapani. Und wie in unseren Sagen, so mussten auch im fernen Indien die Bewerber um die Gunst der hohen Tochter sich im Wettstreit messen. Buddha siegte natürlich in allen Disziplinen: in der Schrift, im Ringkampf, im Bogenschießen, im Wettlauf, im Schwimmen und in der Zahlenkunde – ein wahrlich bunt gemischter Sechskampf. Arjuna, der große Mathematiker, war Zeuge dieses edlen Wettstreits gewesen, und Buddha wurde von seinem Vater aufgefordert, er solle sich mit diesem Zahlengenie messen.Arjunaverlangtevon Buddha, die Zahlstufen über 100 Kotis zu benennen. Koti war die 7. Rangstufe, also 10<sup>7</sup> oder zehn Millionen. Und Buddha zählte und zählte und nannte die Zählstufen bis zu tallaksana, das ist 10 hoch 53, eine Zahl mit 54 Stellen also. Aber damit war der Prinz noch lange nicht am Ende, denn dieser riesige Zahlenturm sei nur erst eine Zählung, die Zählung tallak§ana eben; über ihr aber liege noch die ebenso große Zählung dvadjadravati, darüber eine wieder so große namens dvajagranisamani und darüber noch sechs weitere. Buddha kam schließlich auf die Zahl 10 hoch 421, das ist die 1 mit 421 Nullen. In Schreibmaschinenschrift ohne Unterbrechung aneinandergereiht, würde das eine Zahl von 1,10 Meter Länge ergeben. Man stelle sich den mechanischen Zählapparat vor, der diese Zahl noch bewältigte!


Aber Arjuna war noch nicht zufrieden, er stellte Siddhartha noch die damals schon berühmte und volkstümliche Staubaufgabe: Er sollte angeben, wie viele allerfeinste Stäubchen (Atome) in einer Yoyana, einer Meile seien. Und Buddha begann zu zählen: 7 Atome, so sagte er, ergäben ein ganz feines Stäubchen, 7 ganz feine ein feines, 7 feine ein Stäubchen, das der Wind gerade noch fortträgt, 7 davon wären ein Stäubchen von der Spur des Hasen, davon 7 eins von des Widders Spur, 7 solche eins von des Stieres Spur und davon 7 ergäben ein Mohnkorn; 7 Mohnkörner aber wären ein Senfkorn, 7 Senfkörner ein Gerstenkorn, 7 Gerstenkörner ein Fingerglied, 12 Glieder eine Spanne, 2 Spannen eine Elle, 4 Ellen ein Bogen, 1000 Bogen ein krosa (das heißt wörtlich: ein Schrei, und ist eine Maßbezeichnung, die Entfernung nämlich, in der man einen Schrei noch hört), 4 krosa aber seien endlich eine Yoyona, eine Meile; sie habe demnach 384000 mal 7 hoch 10 Atome, was Buddha natürlich mit einem Wort ausdrückte und nicht in der modern-mathematischen Kurzfassung. Und nun bot Siddhartha, der spätere Gautama und Buddha, an, nicht nur die Atome einer Meile, sondern gar die aller wirklichen und sagenhaften Länder dieser Erde zu zählen, ja nicht nur das, sondern auch die Zahl der Atome aller dreitausend von Tausenden Erden zu benennen, die es im Weltall gäbe. Wir wollen ihm dabei aber nicht mehr folgen, sondern einen – zeitlich geringen, räumlich aber großen – Sprung machen hinüber nach Syrakus, wo im dritten vorchristlichen Jahrhundert Archimedes seine Kreise in den Sand zeichnete (und dabei schließlich von einem an Geometrie wenig interessierten Römer erschlagen wurde).


Als Archimedes am Strand so in den Sand starrte, da kamen ihm ganz andere Gedanken als einem heutigen Italien-Urlauber. Er überlegte sich nämlich, wie er den Sand am Meer, den's schon damals wie Sand am Meer gab, zählen könnte, natürlich nicht, indem er Korn um Korn beiseitelegte, sondern durch Überlegung, durch „ infinitesimale“ Betrachtung, durch eine Schau des schier Unendlichen. Und als er erkannt hatte, dass man tatsächlich ins Unendliche weiterzählen kann (nur der Tod verhindert es), da erzählte er stolz seinem Herrscher: „Manche Leute glauben, o König Gelon, die Zahl der Sandkörner sei unbegrenzt. Andere meinen, die Zahl sei zwar nicht unbegrenzt, aber es sei noch nie eine Zahl genannt worden, die die des Sandes übertrifft. Ich aber will dir zu zeigen versuchen, dass unter den von mir benannten Zahlen nicht nur einige die Zahl der Körner eines Sandhaufens von Erdgröße übersteigen, sondern auch die Kornzahl eines Sandhaufens, der das gesamte Weltall füllt.“ Und nun begann Archimedes zu zählen, und er baute eine Zahlenleiter auf, die zunächst (!) bis zu einer Zahl mit 800 Millionen Nullen führt. Das aber sei nur die erste Periode, und diese riesige Zahl sei wiederum die niedrigste einer zweiten Periode. Und er baute noch weitere solche Perioden darüber auf bis zu einer Zahl, die 8 mal 10 hoch 16 Nullen hat, also 80 Billiarden Nullen nach der Eins. Und nun begann Archimedes mit der Berechnung der Sandkörner in einer Kugel von Weltallgröße, und er wies nach, dass ihre Zahl kleiner sei als die größte von ihm benannte Zahl, und er beruhigte auch gleich etwaige Zweifler: „Ich vermute, König Gelon, dass dies alles den Unkundigen in der Mathematik unglaublich er-scheint, dem Kundigen aber einleuchtet. Deshalb habe ich geglaubt“, so schmeichelte der Weise, „es sei auch dir wertvoll, davon zu erfahren.“


Nun freilich, mit dem Zählenkönnen ist's allein oft nicht getan, und wenn man gleich wie Buddha die Atome oder wie Archimedes den Sand im Getriebe des Weltalls zählte. Mitunter braucht man das Ergebnis ja auch später noch, muss es also speichern (wofür das menschliche Hirn nicht immer das sicherste Lager ist) oder auf andere Weise sichtbar und dauerhaft machen. Man kann nun – wie die alten Ägypter vor einigen tausend Jahren und die Südsee-Insulaner noch heute – für jedes zu zählende Stück ein Steinchen beiseitelegen. Aber das hilft auch nicht viel weiter. Zwar ist die Hilfsmenge quantitativ geringer, aber doch immer noch recht wenig praktikabel. Dem Fidschi-Fischer mag's genügen, für jeden gefangenen Fisch einen Stein auf einen Haufen zu legen. Wie aber soll das ein moderner Hochsee-Heringsfischer machen. Dem Handweber im alten Ägypten reichte es, wenn er die fertigen Stücke mit Steinchen zählte. Aber dem Mann am modernen Rundstrickautomaten reicht's nichtmehr. Er müsste mit ein paar Säcken voll Steinen zur Lohnabrechnung. Zwar ist die Steinchen-Zahl noch bis in unsere Tage „lebendig“ geblieben: Manche Araber tragen, wenn sie sich eine wichtige Zahl merken sollen, entsprechend viele Steinchen in einem Lederbeutel mit sich herum – es handelt sich also fürwahr um gewichtige Zahlen. Aber der Mensch, der in Serien produziert, der Handel treibt und mit Geld umgeht, braucht einfachere Methoden, um Gezähltes und Zahlen darzustellen.


Was lag für einen Menschen, der an den Fingern zählte, näher, als das Gezählte schließlich auch mit den Fingern darzustellen! So erfand er denn die Fingerzahlen, womit er jede beliebige Zahl zwischen 1 und 10000 (jawohl: zehntausend!) nur mit den zehn Fingern der beiden Hände bilden konnte. Uns heutigen, die wir elektronische Taschencomputer haben, sind die Fingerzahlen unbekannt, aber noch im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit wurden sie überall und von vielen verstanden; sie waren fast zweitausend Jahre in Gebrauch. Schon die alten Griechen kannten sie; Aristophanes, berühmter griechischer Komödiendichter im 5. Jahrhundert vor Christus, erwähnt sie in seinen „Wespen“. So richtig populär aber wurden die Fingerzahlen erst, als die römischen Kaufleute in alle Länder rund ums Mittelmeer reisten und eine international verständliche Darstellung für Zahlen brauchten – denn: Römer wie Griechen hatten ja keine Ziffernschrift, sie schrieben Zahlen ja mit den Buchstaben ihres Alphabets, und die konnte schließlich nicht jeder lesen. Mit den fünf Fingern der linken Hand bildeten sie die Zahlen von 1 bis 100, mit denen der rechten Hand die von 100 bis 10000. Für die Einer wurden nur drei Finger benützt: Mittel-, Ring- und Kleinfinger, die Zehner wurden mit Daumen und Zeigefinger gebildet. Die 30 zum Beispiel sah so aus: Man legte die Zeigefingerspitze an die Spitze des Daumens und bildete so einen kleinen Kreis; die übrigen drei Finger waren in Grundstellung, also ausgestreckt (die gleiche Geste macht übrigens, wahrscheinlich unbewusst, Franz Josef Strauß, wenn er vor Zuhörern etwas dezidiert sagen und durch eine pointierte Handbewegung unterstreichen will). Diese Fingerstellung war jahrhundertelang als Symbol der Vermählung berühmt. Schon der heilige Hieronymus bemerkte in den Erläuterungen zu seiner Bibelübersetzung Vulgata, dass diese Vereinigung der Finger Mann und Frau darstelle, weil sie „quasi molli osculo se complectans et foederans“, sich also wie in einem süßen Kuss umfangen. So freimütig haben Kirchenheilige damals noch die Bibel interpretiert (die Deutung der Zahl 30 durch Hieronymus bezog sich übrigens auf Matthäus 13, Vers 8). Die Fingerstellung für die Zahl 30 hat (allerdings an der rechten Hand) früher auch zur Anbetung der Liebesgöttin Venus gedient; und heute noch bedeutet sie in Neapel, einer Frau gezeigt, dasselbe wie einst bei Hiero-nymus, dem Heiligen mit dem Löwen.


Abkömmlinge der uralten Fingerzahlen findet man auch heute noch: Die Makler auf der Welt größtem Getreidemarkt in Chicago und die Buchmacher auf englischen Rennplätzen verständigen sich über Preise und Quoten mit Finger- und Armgesten. Und in den Handels- und Hafenplätzen am Roten Meer, in Arabien und Ostafrika werden Preise unter Händlern oft nur mit den Fingern ausgemacht; europäische, arabische und persische Kaufleute verstehen diese Zeichensprache ebenso wie Abessinier, Galla, Somali und Beduinen. Käufer und Verkäufer verständigen sich dabei über den Preis, indem sie die jeweilige Fingerstellung des anderen unter einem Tuch oder einem Zipfel ihres Gewandes abfühlen, damit umstehende Neugierige nichts erfahren. Auch gefeilscht wird dabei, denn es gibt besondere Fingergesten mit den Bedeutungen „mehr“ und „weniger“.


Obwohl man mit den an Fingern dargestellten Zahlen auch rechnen konnte – addieren, subtra-hieren und in bescheidenem Maße auch multiplizieren – reichte die Glieder-Akrobatik natürlich nicht hin, um in jedem Falle Gezähltes mit anderem Gezählten in die gewünschte Relation zu bringen. Geldwechsler und Händler brauchten buchstäblich ein handlicheres Gerät als die Hände, um rasch rechnen zu können. So erfanden die Altvorderen den Abakus, ein Rechenmaschinchen mit Handbetrieb, das von den Alten in Griechenland und Rom später nach China und Japan wanderte – wo man's heute noch in Geschäften und Büros findet – und dann über Russland wieder ins Abendland zurückkehrte, wo es heute als Rechenspielzeug für ABC-Schützen ein kümmerliches Dasein fristet. Eine solche Rechenhilfe brauchten die Kaufleute und Mathematiker der Antike einfach deshalb schon, weil sie – bei Zeus! – mit ihrer Zahlenschrift nicht rechnen konnten. Die Griechen kannten ja überhaupt keine Ziffern, für sie war der erste Buchstabe im Alphabet, das Alpha, zugleich auch Schriftzeichen für 1, Beta stand für 2 und so weiter. Und wie umständlich die Römer ihre Zahlen malten, weiß jeder, der einmal versuchte, an einem alten Kirchenportal das Baujahr zu entziffern. Man probiere nur einmal, die beiden „einfachen“ Zahlen 944 und 88 in römischen „Ziffern“ miteinander zu addieren: CMXLIV + LXXXVIII, und man wird erkennen, dass ein römischer Geldwechsler ohne sein Rechenbrett, seinen Abakus, die Kunden längst nicht so rasch hätte übers Ohr hauen können.


Wahrscheinlich wurde der Vorläufer des Abakus in einem recht unordentlichen Haushalt erfunden – man benutzte nämlich anfangs nur eine staubbedeckte Tischplatte, zog ein paar Linien darauf und konnte nun mit Steinchen darauf die Einer, Zehner und Hunderter darstellen. Herodot, der um 450 vor Christus die griechische Geschichte aufschrieb, berichtet, dass schon die Ägypter so rechneten (übrigens von rechts nach links, wie der Historienschreiber extra bemerkte; die Griechen bauten ihre Zahlen nämlich von links nach rechts auf). Dort, wo die Xanthippe des Hauses keinen Staub auf ihrem guten Möbel duldete, mussten die rechnenden Männer Striche auf den Tisch malen, mit Kreide. Die Römer entwickelten dann Tafeln mit Wachsüberzug, um das häusliche Inventar zu schonen, und nannten das Rechenbrett abacus.


Manche etymologisch begabten Mathematiklehrer vermuten heute noch, dass dieser Name vom semitischen Wort „abq“ abgeleitet sei, und das hieß – Staub! Wie man darauf Gezähltes sichtbar machte, zeigt die Nachzeichnung (oben, Abbildung fehlt hier) eines römischen Rechenbretts, auf dem die Jahreszahl 1971 eingestellt ist.


Zur Erläuterung: Die einzelnen Steinchen auf den oberen Teil-Linien stellen die Fünfer-Bündelung dar, also 5, 50, 500 und so weiter; die Linie ganz rechts trägt die Einer, die folgende die Zehner, dann kommen die Hunderter und die höheren Zahlen.


Mit einiger Übung konnte man auf diesen Handrechnern in ungeahnter Geschwindigkeit rechnen. In Japan rechnet man heute noch damit. Als nun die Amerikaner 1945 nach Japan als Sieger kamen, da belächelten die an elektrische Rechenmaschinen gewöhnten GI's das rückständige, altertümliche Verfahren, so wie ein moderner Tierarzt etwa kopfschüttelnd eine Teufelsaustreibung in einem Kuhstall betrachten würde. Natürlich mussten die sieggewohnten und fortschrittsgläubigen Amerikaner den hinterwäldlerischen Japanern die Segnungen moderner Rechenautomaten demonstrieren. Da sie aber von den Angelsachsen abstammen, also echten Sportsgeist verkörpern, gaben sie auch den Söhnen Nippons eine Chance und veranstalteten ein „calculating match“, einen Rechenwettkampf zwischen einem Amerikaner und einem Japaner; der Japaner durfte nur einen „Soroban“ benutzen, ein Rechenbrett, das dem Abakus der Römer nicht viel voraus hat und ähnlich aussieht. Der Kampf fand vor 3000 Zuschauern in Tokio statt, und wie er ausging, darüber berichtete Reader's Digest im Jahre 1947: „Am Soroban für 25 Cent saß ein 22jähriger Angestellter des japanischen Verkehrsministeriums mit 7jähriger Ausbildung, an der elektrischen Rechenmaschine zu 700 Dollar ein gleichaltriger Amerikaner der Heeresfinanzverwaltung mit 4 Jahren Ausbildung. Beim Zusammenzählen von 50 vier- bis sechsstelligen Zahlen siegte der Japaner mit einer Mi-nute (!) Vorsprung, ebenso siegte er beim Abziehen. Eine Runde gewann der Amerikaner beim Vielfachen (Multiplizieren), weil der Soroban ,sehr viele Handbewegungen erfordere'. Aber der Japaner lag wiederum vorn beim Teilen und bei zusammengesetzten Aufgaben; er machte außerdem weniger Fehler.“


Woraus ersichtlich wird, dass die elektrische Rechenmaschine nicht ein Fortschritt der Rechenkunst, sondern allenfalls ein Fortschritt der Faulheit ist, da sie dem Menschen nichts als die Mühe des Kopfrechnens spart. So prächtig jedoch der Abakus funktionierte, einen Nachteil hatte er: man musste damit umgehen können. Was aber tat der einfache Mann, der kaum zählen, geschweige denn schreiben konnte? Wie sollte er sich notieren, wieviel Milch die Kühe gegeben hatten, wieviel Mehl die Josefa Meierin holte, ohne zu bezahlen, wie hoch die Zeche der Saufbrüder sich bis Mitternacht belaufen würde? Nun, der gewitzte Mann schnitzte, er schuf seine eigene Zahlschrift – auf dem Kerbholz. Jeder Bauer, jeder Müller, jeder Wirt, jeder Händler erfand seine eigene Art, Merkenswertes zu notieren, oft so, dass ein anderer es möglichst nicht entziffern konnte. Mitunter waren solche Kerbzeichen für eine Familie, einen Stamm, ein Dorf oder ein ganzes Tal einheitlich und verbindlich, in anderen Fällen waren sie streng bewahrtes persönliches Geheimnis, und womöglich hat so mancher Schnitzer sein Kerb-holz hinterher selbst nicht mehr verstanden; der mag dann so umhergeirrt sein wie jemand, der einen Knoten in seinem Taschentuch entdeckt und nun partout nicht mehr weiß, woran er ihn erinnern sollte.


Die Kerbhölzer und Zählstöcke waren freilich mehr als Ausdruck privater Schnitzlust, sie galten bisweilen sogar als offizielle Dokumente. Englische Waldarbeiter kerbten die Zahl ihrer fertigen Reisigbündel in ein Zählholz, schwäbische Weinbergarbeiter machten's ebenso, um die abgelieferten Butten voll Trauben zu zählen – und was sie dann auf dem Kerbholz hatten, das war anerkannte Grundlage für die Lohnabrechnung. Selbst genossenschaftliche Buchführung war mit dem Schnitzmesser möglich: Im Tavetschtal im Bündner Oberland haben die Bauern einer Molkereigenossenschaft noch in diesem Jahrhundert ihre gesamte Abrechnung untereinander samt laufender „Buchführung“ nur mit Kerbhölzern abgewickelt. Sogar eine Art Durchschreibe-Buchführung war bekannt: Man spaltete das gekerbte Holz, und jeder der beiden Beteiligten erhielt ein Stück. Napoleons Code civil von 1804, der als Gesetzbuch auch in deutschen Ländern galt, verlieh den Kerbhölzern ein letztes Mal Beweiskraft vor Gericht: „Die Kerbhölzer, die mit dem Hauptholz übereinstimmen, sind rechtsgültig zwischen Leuten, die auf diese Weise die gemachten oder erhaltenen Lieferungen einzeln zu bestätigen pflegen.“ Das waren noch Zeiten, denn hatten zwei Kontrahenten sich vor Gericht nicht geeinigt, so konnten sie zur Not immer noch mit den Kerbhölzern aufeinander einschlagen. Wie beschränkt sind dagegen die Möglichkeiten, sich mit Schuldscheinen zu streiten!


Zu schönster Blüte jedoch kamen die Kerbhölzer in England, wo schon Shakespeare (in „Heinrich Vl.“) bemerkte: „Our Forefathers had no other books than the score and the tally – Unsere Vorfahren hatten keine anderen Bücher als die Kerbe und das Kerbholz“. Noch im 19. Jahrhundert diente der „tally“, das Kerbholz, zur Abrechnung im staatlichen Geldwesen. Das Holz war in zwei Hälften gespalten, die zum Einkerben zusammengefügt wurden – so verbuchte sogar die Bank von England eingehende Gelder. Die eine Hälfte des Tally, Stock genannt, konnte von der Bank als Zahlungsanweisung ausgegeben werden; die Holzhälfte kursierte wie Bargeld, bis jemand sie eines Tages wieder zur Bank zurückbrachte. Passte der Stock dann genau auf die bei der Bank verbliebene andere Hälfte, den Einsatz, so wurde er anstandslos angenommen und die eingekerbte Summe ausbezahlt. Den Vergleich zwischen Stock und Einsatz nannte der englische Bankmann „to check“, und daraus wurde unser Wort Scheck; der „stock“ aber wurde im Englischen zum Wort für Wertpapier, vor allem für Aktien – The New York Stock Exchange ist die berühmte Börse an der Wall Street.


Amüsant ist, wie sich – obwohl der Gegenstand selber längst passe ist – das Wort „tally“ bis heute im englischen Sprachschatz erhalten hat (ähnlich wie bei uns das Kerbholz, auf dem man immer noch etwas haben kann). Ein Geschäft, wo man auf Raten kaufen kann, ist heute noch ein „tally-shop“ in England, der Trödler ein „tallyman“, das Konto-Gegenbuch heißt ebenfalls „tally“ und ein „hand tally counter“ ist ein Handstückzähler. Als Verb heißt „to tally“ so viel wie zusammenpassen, und die Redewendung „They are tallies for each other“ bedeutet, sie seien ein Herz und eine Seele, denn sie passten zueinander wie die beiden Hälften eines Kerbholzes; was ein „tally-wife“ ist, kann man sich nun schon denken; tiefe Einblicke in das Alltags-Familienleben und die Wunschträume der Briten vermittelt es aber, wenn man hört, was „to live tally“ heißt: in wilder Ehe leben. Und da behaupte jemand noch, die Wortforschung sei eine trockene Wissenschaft!


Im 19. Jahrhundert aber, mancherorts auch erst zu Beginn unseres Jahrhunderts, wurde das Kerbholz endgültig zum alten Eisen geworfen. Die Geschwindigkeiten, mit denen jetzt, in einer technisierten und industrialisierten Welt, gezählt und notiert werden musste, ließen Schnitzmesser und Holzstock museumsreif werden. Relikte dieser Zählweise findet man zwar heute noch – zum Beispiel, wenn die Bedienung die Zahl der geleerten Gläser auf dem Bierfilz anstreicht – aber wo nötig und möglich, hat der mechanische Zähler alle anderen Zahlenmerker verdrängt.


Wer diesen wunderlichen, wundersamen, wunderbaren Apparat erfunden hat – kein Denkmal verkündet's, kein Geschichtswerk vermerkt es. Vermutlich aber hat man schon im Altertum, bald nach der Erfindung des Zahnrades, mechanische Zähler gebaut. Vielleicht war Ktesibios der erste; er hat im dritten Jahrhundert vor Christus in Griechenland eine Windbüchse erfunden, eine Druckpumpe, eine Wasserorgel und eine Wasseruhr, die von Zahnrädern getrieben wurde und auf einem senkrechten Zifferblatt mittels einer Schwimmerfigur die Zeit anzeigte. Mit Sicherheit aber hat Heron von Alexandria einen mechanischen Zähler gebaut. Manche Forscher halten ihn für einen Schüler des Ktesibios, andere lassen ihn erst im zweiten nachchristlichen Jahrhundert leben. Wenn letzteres stimmte, hätte zumindest einer vor ihm schon einen Zählapparat konstruiert: Vitruv, der römische Architekt, der um die Zeitenwende lebte. In Rom, wohin damals für rund 800 000 Einwohner täglich etwa 800 000 Kubikmeter Wasser über Leitungen und Aquädukte geführt wurden, hatten die Häuser schon Wasserzähler mit genormten Ausfluss-Düsen. Zu den Erfindungen des Vitruv zählen ein Geschwindigkeitsmesser für Schiffe und ein mechanischer Wegmesser. Der Schiffs-Tacho bestand aus einem Schaufelrad, das an der Seite des Schiffes so angebracht war, dass die Schaufeln ins Wasser tauchten; während der Fahrt konnte man nun dank eines Zählgerätes die Umdrehungen des Rades zählen und so die Fahrt messen – ungefähr wenigstens, denn die Strömung des Wassers konnte dabei nicht berücksichtigt werden. Nach Vitruvs Beschreibung eines Wegmessers hat Walther Ryff Anno 1548 eine Zeichnung in Holz geschnitten, die eine Vorstellung von diesem Messgerät gibt: Auf einem Wagen installiert, zählt der verhältnismäßig große Apparat die Umdrehungen des Wagenrades, so dass man, kennt man den Radumfang, leicht die zurückgelegte Entfernung zu berechnen vermag, wenn man nur überhaupt rechnen kann.


Natürlich hat auch Leonardo da Vinci, der Vielseitige, eine Zeichnung für einen Wegmesser und Schrittzähler hinterlassen. Sie entstand etwa hundert Jahre früher als der ,,Tractat Der mechanischen lnstrumenten“, worin Levinus Hulsius Anno 1615 eine ausführliche ,,Beschreibung deß diensthafften lnstruments Viatorii oder Wegzählers“ gab: ,,Diß lnstrument ist gemeinlich rundt, ungefährlich fünff Zoll in Diametro oder über zwerg, fünffzehen Zoll im Umbkreiß groß, und etwan ein Zoll dick, wird aus Messing gemacht und zur Zier vergüldet. Die Rädlein aber inwendig seynd entweder von Eysen oder von Messing, die eusserste oder förderste Seite ist mit 2 underschiedenen kleinen Grad und Zahlen abgetheilet und verzeichnet.“ Die Wegmesser hatten damals vor allem zwei Aufgaben; sie dienten entweder als Schrittzähler (an Menschen oder Pferden) oder als Umdrehungszähler an Wagenrädern und hatten die Funktion eines Entfernungsmessers. So heißen denn auch die Kapitelüberschriften in Traktat des Herrn Hulsius zum Beispiel: ,,Wie diß Instrument zu Fuß, ein Vestung oder Weite abzugehen und zu messen, gebraucht werden soll“, oder: ,,Wie man diß lnstrument zu Roß, ein Landschafft abzureiten, zu besichtigen und abzumessen, gebrauchen soll“, und ein andermal: „Wie man mit diesem lnstrument zu Gutschen oder Wagen alle Weiten mercken und abmessen soll“, und schließlich: ,,Wie man mit diesem Wegzähler die Weite von einem Orth zum andern im Feldt gar gewiß und sicherlich erfahren und abmessen soll“. Mit Hilfe dieses Apparates wurden ganze Landstriche vermessen, so vermessen das heute auch klingen mag, denn der Wegmesser hat ja schließlich nicht nur die reine Entfernung, sondern auch jede Unebenheit des Weges registriert. Auf einer holprigen Straße mochten da leicht doppelte Entfernungen herauskommen.


Recht große Verdienste um die Verwendung und Verbesserung des mechanischen Zählers hatte, wie es in einem alten Lexikon heißt, der „Königlich Polnische und Chur-Sächsische Land- und Grentz-Commisarius Adam Friedrich Zürner, der durch vielen angewandten Fleiß und seine dabey gehabten observationes“ den Wegmesser so verbesserte, dass er ihn „mit großem Nutzen bey der ihm commitierten Sächsischen Landes-Ausmessung“ verwenden konnte. Zürner hat sich, wie ein Zeitgenosse bemerkte, „einen unsterblichen Namen“ gemacht als Erfinder der Stunden- und Halbstundensteine an Sachsens Straßen, als Folge seiner exakten Entfernungsmessung.


Wie so ein Viatorium oder Wegmesser funktionierte, das beschreibt ein Werk aus der Mitte des 18. Jahrhunderts: „... ist ein Geometrisches Instrument, die Entfernung zweyer Örter dadurch zu erforschen und ein ganzes Land vermittelst dessen auszumessen; sonderlich können aber damit die Wege nach den Meilen bequem und behende gar genau bestimmet werden und bestehet dasselbe in einem zusammengesetzten Räderwerk, worbey an einer aussen in verschiedene und gleiche Theile abgetheilten Scheibe ein oder auch mehr Zeiger den offt wiederholten Umlauff des Rades an einem Wagen oder die Zahl derer hintereinander gethanen Schritte so wohl eines Menschen als eines Pferdes andeuten. Zu diesem Ende gehet aus dem Instrumente eine Schnur, Faden oder sauber Kettlein, welches, wenn daran gezucket oder solches ein wenig angezogen wird, jedesmahl den Zeiger um einen Theil fortrücket. Zu der Richtigkeit dieses Instrumentes wird erfordert, dass man zum voraus die Größe einer Meile nach denen Schritten eines Menschen oder eines Pferdes, ingleichen nach dem Umlauff eines hierzu erwehlten Rades aus-mache und feste stelle. Also muss zum Exempel ein Rad, welches in seinem Umkreis 7½ Elle oder eine Sächsische Landes-Ruthe hält, drey tausend sechs hundert Mal herumlauffen, weiln der Weg, den dieses Rad zurücke gelegt, eine Sächsische Meile ausmachen solle ... Solcher Wegmesser hat man dreyerlei Arten: Die eine ist, da das Instrument an einem Wagen angebracht ist und dieses vermittelst dem Um lauff eines Rades andeutet, wie offte solcher Umlauff geschehen sey; die andere ist, die ein Mensch an seinem Leibgurt anmachet oder man befestiget sie auch an dem Sattel eines Pferdes. Die Schnur, so aus dem Instrumente gehet und bei jedem Anziehen oder Zucken den Zeiger fortrücket, wird sodann an dem Fuß des Menschen oder Pferdes feste gemachet, um eben dadurch zu bemercken, wie offt der Fuß fortgeschritten ist. Die dritte Art ist bei denen Stäben oder Spatzier-Stöcken angebracht, allwo ein daran gemachter Weiser durch das Niedersetzen des Stabes um einen Theil an der Scheibe fortgerükket wird ... Diese erwehnten Arten der Wegmesser sind schon vor mehr denn hundert Jahren in Gebrauch gewesen ...“


Adam Friedrich Zürner, der auch Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin war, hat sich also so einen Radumdrehungszähler an seine Kutsche montiert und spazierenfahrend Sachsen vermessen. Er war so stolz auf seine Konstruktion, dass er nicht umhinkonnte, ihre Wirkungsweise eines Tages öffentlich zu demonstrieren, genauer gesagt: eines Nachts. Er hatte bei Tag einige Meilen vor einer sächsischen Stadt unter Zeugen einen Pfahl in den Boden gerammt und die Entfernung zur Stadt gemessen. Als die Nacht hereingebrochen war, setzte Zürner sich mit etlichen Männern in seine Kutsche und heftete das Auge auf den Meilenzähler. Und obwohl im Finstern nichts zu sehen war, konnte Zürner zur Verblüffung der Mitreisenden die Kutsche auf den Meter genau neben seinem Pfahl halten lassen.


Das alles geschah zur Zeit, als in Sachsen August der Starke unter den Töchtern seines Landes wütete, als das Porterbier und die Papiertapete, die Hoffmannstropfen und die Pockenimpfung erfunden wurden, als Prinz Eugen die berühmte „Brukken“ schlagen ließ, daß man kunnt hinüberrucken, als Robinson Crusoe und die ersten Banknoten erschienen, in der Zeit um 1720 also, einer Zeit, wo in England gerade die ersten freien, privaten Unternehmer ihre Manufakturen aufbauten und damit, ohne es zu wissen, den Kapitalismus erfunden und die Voraussetzungen für die spätere industrielle Revolution geschaffen hatten. Aber von Industrialisierung war weit und breit noch nichts zu sehen. Wer damals eine Maschine brauchte, bastelte sie sich selber zusammen. Und wer das Verlangen nach einem mechanischen Zählappa-rat hatte, der musste sich das Maschinchen nach Konstruktionsbeschreibungen eben von einem geschickten Mechanicus bauen lassen.


Und das blieb noch über hundert Jahre so. Wer dann als erster auf die Idee kam, der zählgeplag-ten Menschheit mechanische Zähler in Serien zu liefern, man weiß es nicht. Aber da in der auf-blühenden Industrie des 19. Jahrhunderts immer mehr gezählt wurde – vor allem an Textil- und Druckmaschinen –, kam man bald ohne diese Hilfe nicht mehr aus. Es überrascht nicht, dass diese feinmechanischen Instrumente bei uns zuerst dort in größeren Stückzahlen gebaut wurden, wo auch die Uhrenindustrie zu Hause war: in Württemberg und in Sachsen.


Um die Mitte des letzten Jahrhunderts oder kurz danach fertigte die Firma Schaeffer & Budenberg in Magdeburg Umdrehungszähler; zur selben Zeit etwa hat auch Johannes Bürk in seiner Württembergischen Uhrenfabrik in Schwenningen wohl schon mechanische Zählapparate konstruiert.


Oft waren es Zufälle, wodurch die Entwicklung einen Schritt weiter kam. Im Jahre 1878 zum Beispiel fuhr der Gastwirt James Ritty aus Dayton/ Ohio mit einem Liniendampfer aus den Vereinigten Staaten nach Europa. Die Fahrt zog sich in die Länge, und als Mr. Ritty der ewigen Wellen müde war, wollte er sich eines Tages etwas andere Unterhaltung verschaffen und stieg hinab in den Maschinenraum, denn für Technik interessierte er sich sehr. Doch nicht die riesigen Dampfmaschinen waren es, die ihn bald am meisten fesselten, sondern ein kleiner, fast unscheinbarer Apparat, der die Umdrehungen der Schiffsschraube zählte. Mr. Ritty war fasziniert, und der Gedanke ließ ihn nicht mehr los, dass man einen solchen Zählapparat auch anderweitig verwenden konnte – er war es nämlich leid geworden, allnächtlich, wenn seine Gastwirtschaft geschlossen war, noch mühsam das viele Kleingeld zu zählen, das er im Laufe des Tages eingenommen hatte. Wieder in den Staaten zurück, machte er sich mit seinem Bruder John, einem Mechaniker, ans Werk; die beiden bastelten innerhalb eines Jahres die erste Registrierkasse der Welt – und sie sah weiß Gott noch ähnlich aus wie Zürners Meilenzähler: Sie hatte Zeiger wie eine Uhr. Ein verbessertes Modell ohne Zeiger verkauften die Brüder später – es wurde der Prototyp der berühmten National-Registrierkassen.


Und noch ein kurioses Beispiel: 1898 lagen die USA mit Spanien in Kriegshändeln wegen Kuba; es war der Krieg, der Teddy Roosevelt und seine Rough Riders, seine Rauhreiter berühmt machte. Aber so rauh diese Reiter auch waren, sie waren um ihre Pferde besorgt. Und da gab's Grund zur Klage: Die von der Regierung gelieferten Pferdedecken waren miserabel, waren zu dünn. Die zuständigen Herren der Regierung dachten nach und stellten fest, man könne die Qualität einer Pferdedecke wohl am ehesten dadurch garantieren, dass man den Herstellern eine bestimmte Fadenzahl pro Zentimeter vorschrieb. Und wie hätte man das besser kontrollieren können als mit mechanischen, unbestechlichen Zählern? Also mussten die Fabrikanten an ihren Webstühlen Apparate anbringen, welche die Schusszahlen pro Pferdedecke registrierten. Und so zog in den USA der mechanische Zähler in die Textilindustrie ein, wohl ein halbes Jahrhundert später als in Europa. Zu derZeit waren Zähler in anderen Industriezweigen schon üblich, zum Beispiel in Druckereien und in metallverarbeitenden Betrieben. Mitunter dienten die Zähler weniger der Produktionskontrolle als vielmehr zur Überwachung der Arbeiter, die sich gelegentlich ein Extrastückchen herstellten; für diese Funktion wurden Zähler sogar eigens in Katalogen angepriesen. Eine Neuauflage in Serien erlebte der uralte Wegmesser, als das Fahrrad erfunden und beliebt wurde. 1875 begann in England, bald darauf in aller Welt die Produktion von Fahrrädern mit Hinterradantrieb, Freilauf und Rücktritt. Jeder, der noch die Beine vom Boden brachte, schwang sich auf den Drahtesel. In Amerika brach eine regelrechte Fahrrad-begeisterung aus. 1882 fuhr ein gewisser Mr. Cortis 20 Meilen und 300 Yards in einer Stunde und stellte damit den ersten Radweltrekord auf. Im April 1884 startete ein Thomas Steven von San Francisco aus gar zur ersten Erdumrundung auf zwei Rädern und schaffte es, Weihnachten 1886 wieder zu Hause zu sein.


Auch der Ingenieur Curtis H. Veeder war schon als 18jähriger ein begeisterter Radfahrer. Und was macht ein Ingenieur in allen Lebenslagen? Er erfindet. Mr. Veeder stellte fest, dass ein bestimmter Körperteil beim Radfahren besonders in Mitleidenschaft gezogen wird und konstruierte einen Fahrradsattel, den er sich patentieren ließ. 1893 fuhr er auf dem Rad durch ganz Neu-Schottland und die Neu-Englandstaaten, fand, dass die Zyklometer, die Wegmesser, nicht ganz seinen Ansprüchen entsprachen, und erfand deshalb einen neuen, am 20. Juli 1894, wie er selber stolz notierte, mit „compound differential gearing“, mit zusammengesetzter Differential-Übersetzung. Mr. Veeder fing an, seine Meilenzähler in Serien zu produzieren, mit anhaltendem Erfolg übrigens, denn seine Fabrik – er tat sich bald darauf mit dem seit 1885 ebenfalls Zähler bauenden Mr. Root zusammen – stellt heute noch „counters“ her.


Vom Ende des letzten Jahrhunderts an zierten Zähler viele technische Neuerungen. 1889 bewunderten Paris-Besucher nicht nur den Eiffelturm der Weltausstellung, sondern auch die Don nervögel der ersten Automobilausstellung der Welt. Und Automobile brauchten Kilometerzähler und Geschwindigkeitsmesser; sie wurden bald nach Beginn dieses Jahrhunderts gebaut. Deut-sche Automobilfabriken statteten ihre teureren Modelle schon vor dem ersten Weltkrieg serienmäßig mit Kilometerzählern aus; billigere Wagen mussten jedoch bis in die späten zwanziger Jahre ihre Kilometer ungezählt abfahren. Der berühmte Ford T, der von 1908 bis 1927 unverändert gebaut wurde, hatte in keinem seiner 15 Millionen verkauften Exemplare serienmäßig einen Zähler. 1903 erhoben sich die Brüder Wright mit dem ersten Motorflugzeug in die Luft, für ganze 12 Sekunden, in denen sie 50 Meter überwanden – ein Zähler kontrollierte die Umdrehungszahl des Propellers.


Im Jahre 1922 begann in der Rottweiler Straße 51 der Uhrenstadt Schwenningen am Neckar eine kleine Werkstatt, einfache Hub- und Umdrehungszähler zu bauen. Ihr führender Kopf, der Ingenieur Wilhelm Müller, brachte 1926 seine Konstruktionen und die ganzen Fertigungseinrichtungen samt den Vorräten in die Firma Hengstler ein, die sein Bruder Ernst kaufmännisch leitete. In dem damals 76 Jahre alten Unternehmen entstand so ein neuer Zweig. Die Serienproduktion mechanischer Zähler erhielt ihren großen Rahmen.


Im Jahre 1931 stellte Hengstler auf der Frühjahrsmesse in Leipzig einen subtrahierenden Zähler mit Zifferanzeige vor, der ein Signal gab, sobald er von der eingestellten Zahl auf Null gelangt war. Noch während jener technischen Messe ließ der damals marktstärkste deutsche Konkurrent der Firma Hengstler an ihren Stand eine Patentverletzungsklage zustellen. Der also eingeleitete Rechtsstreit endete Jahre später mit einem vollen Erfolg für Hengstler vor dem Reichsgericht in Leipzig. Die Patentverletzungsklage wurde abgewiesen und das beantragte Patent für das neuartige Prinzip eines vorwählbaren Zählers Hengstler erteilt. Der subtrahierende Einstellzähler der Marke Hengstler begann, in Deutschland und Europa die verschiedensten Märkte der industri-ellen Anwendung zu erobern.


Dieser Zähler war freilich nicht der erste seiner Art, der das Gezählte digital anzeigte, also mit fortlaufenden Ziffern statt mit einem Zeiger auf Zifferblatt, wie es zwei Jahrtausende lang üblich gewesen war (und beispielsweise heute noch bei Wassermessern gängig ist). Technisch möglich war eine solche Konstruktion schon sehr früh, nur eben nicht technisch nötig. Um 1780 konstruierte der Pariser Mechaniker Jean Francois Richer eine Zählmaschine, die automatisch von 1 bis 9999 zählte und das Ergebnis mittels eines Stempels auch druckte, also digital angab. 29 Jahre später baute Joseph Bramah für die Bank von England eine Maschine, womit Banknoten fortlaufend numeriert werden konnten. Die ersten Zähler in der Industrie hatten jedoch noch Zifferblatt und Zeiger, ehe man dazu überging, statt des Zeigers das Zifferblatt sich drehen zu lassen, Scheibchen mit den Ziffern 0 bis 9; sie drehten sich unter einem Fensterchen, so dass man immer nur eine Ziffer auf jeder Scheibe sehen konnte. Die Zifferscheiben waren nebeneinander angebracht und hatten einen Mechanismus, der eine Scheibe automatisch um Eins vorrücken ließ, so oft die rechts daneben liegende Scheibe eine volle Umdrehung gemacht, also Zehn gezählt hatte. Erst späterwurden dann die heute üblichen Nummernrollen in die Zähler eingesetzt, kleine Räder, die auf ihrem breiten Rand die Ziffern trugen wie ein Fünfmarkstück die Inschrift „Einigkeit und Recht und Freiheit.“

Als man erst einmal in der Lage war, Zähler raumsparend und für jeden Zweck zu bauen, da war bald keine Pionierleistung mehr zu denken, bei der nicht ein Apparat irgendetwas abzählte. Zäh-ler begleiteten den amerikanischen Admiral Richard E. Byrd auf seinen berühmten Antarktis-Forschungsreisen zum Südpol; sie waren eigens für den Gebrauch an Schlitten entwickelt worden.


So konnte der Mann, der als erster den südlichsten Punkt der Erde betrat, in der ungeheuren Eiswüste jederzeit genau feststellen, wie weit er vorangekommen war. Als Williams 1925 den Fluggeschwindigkeitsrekord auf 486 Kilometer pro Stunde schraubte, flogen Zähler mit, ebenso, als zwei Jahre später Lindbergh den Atlantik von West nach Ost überflog. 1927 wurde eine Rotations-Schnellpresse gebaut, die in einer Stunde 100 000 zwölfseitige Zeitungen drucken konnte; sie wurden mechanisch mitgezählt. 1933 jagte Campbell ein Auto mit 437,91 Kilometer pro Stunde über die Erde – natürlich war ein Zähle dabei. Und als die Apollo-Kapsel zum Mond raste, wurde ihre Lage im Weltraum mit Hilfe von Zählern stabilisiert, ja das ganze Raum- und Mondflugunternehmen war eigentlich nur dadurch möglich, dass der Mensch inzwischen gelernt hatte, mit rasender Geschwindigkeit zu zählen.


Vieles wird also gezählt, und vieles hängt vom Zählen ab, hängt mit dem Zählen zusammen, hängt am Zählen, dass man einfach glauben muss, was der heilige Isidor, Erzbischof von Sevilla, vor 1400 Jahren sagte: Tolle numerum omnibus rebus et omnia pereunt – Nimm allem die Zahl und alles zerfällt.


Zahl und Zähler in der Technik

Die Zahl ist die exakteste Aussage über einen Vorgang oder einen Zustand. In der Technik ist das Zählen außerdem häufig Voraussetzung dafür, dass etwas in erwünschter Weise abläuft. Der Geschwindigkeit aber, mit der ein Mensch ohne technische Hilfe zählen kann, sind von der Natur Grenzen gesetzt: Das Auge nimmt rasche Veränderungen nicht wahr, Mund und Zunge können Zahlen nur recht langsam artikulieren, zu langsam jedenfalls für die meisten technischen Vorgänge. Aber schon sehr früh, früher als er es eigentlich brauchte, hatte der Mensch sich Hilfen gebaut, mechanische Zählapparate, verbunden mit Mess- oder Wiegeeinrichtungen – oft mehr technische Spielereien zunächst als Notwendigkeiten. Jahrhundertelang, jahrtausendelang war es dem Menschen möglich, rasche Abläufe numerisch zu erfassen – und er machte kaum Gebrauch davon.


Mit Beginn der technischen Entwicklung, der technischen Revolution im letzten Jahrhundert, der technischen Explosion in unserem Jahrhundert, wuchs das Anwendungsfeld der Zähler, wuchsen die Forderungen an Genauigkeit und Geschwindigkeit des Zählens, an die Vielseitigkeit der Apparate. In einem populärwissenschaftlichen Buch über Mathematik wurde kürzlich gar behauptet, dass Mondflüge unmöglich wären, hätte nicht der Mensch Geräte erfunden, die mit schier unvorstellbarer Geschwindigkeit zählen. Und wie bei diesem extremen Beispiel technischer Entwicklung wäre auf vielen, ja fast auf allen Gebieten der Fortschritt gebremst, hätte man nicht ständig schneller zählende Apparate konstruiert.


Was nützte es auch dem Menschen, dass er rasende Rotationsmaschinen baute, wenn am Ende hundert oder mehr Arbeiter damit beschäftigt wären, den enormen Ausstoß an fertigen Zeitungen zu zählen? Was wäre der Fortschritt der Zapfsäule gegenüber der alten Handpumpe, müsste der Tankwart die gezapften Liter noch in Bechern abmessen? Nicht allein Bequemlichkeit ist es, nicht allein die notwendige Einsparung teurer Arbeitskräfte, nicht allein der Zeitdruck in der Produktion, was Ingenieure zwingt, immer schnellere und präzisere Zähler zu fordern oder sie zu konstruieren. Oft ist eine neue Entwicklung, ein Durchbruch in neue technische Dimensionen einfach undenkbar ohne die Hilfe von Apparaten, die im Grunde nichts anderes tun, als von Null aufwärts oder von einer bestimmten Zahl zurück nach Null zu zählen, nur eben in einem Bruchteil der Zeit, die ein Mensch dafür brauchte.


Jeder technische Vorgang, der überwacht werden muss, aber wegen seines raschen Ablaufs vom menschlichen Auge nicht in allen nötigen Einzel heiten wahrgenommen werden kann, muss in geeigneten Stufen (etwa Stücken, Sekunden, Zentimetern) abgezählt werden, und das heißt: Fast jeder technische Ablauf oder Zustand bedarf des Zählers, sei es zur Kontrolle, zur Steuerung, zur Registratur. Überdies braucht jede statistische Erfassung, jede numerische Überwachung irgendeines Vorgangs den Zähler in irgendeiner Form.


Wo dem Menschen also etwas über den Kopf wächst, da greift er immer häufiger zum Zähler als Hilfe, ob es sich nun um Gigantisches oder Pedantisches handelt. Der Count-down eines neuen Raketenstarts erscheint auf dem Fernsehbildschirm schließlich mit dem gleichen Zahlenablauf wie die Hundertstelsekunden-Zeitmessung bei einem Riesenslalom, nur eben in umgekehrter Folge. Und selbst der verwaltende Mensch, dem die Verwaltung der zu verwaltenden Menschen aus dem Griff zu geraten droht, sieht die Zahl als letzten Ausweg: In absehbarer Zeit wird jeder Bundesbürger eine Personenkennziffer haben, die nicht nur Name und Geburtsdatum dem kundigen Elektronengehirn preisgibt, in die sich darüberhinaus noch mehr Daten verschlüsseln lassen: Geschlecht und Schulbildung, Wohnort und Familienstand, ja, Skeptiker fürchten gar: auch die politische Meinung.


Der Mensch, sagt der Mensch resignierend, sei halt nur eine Nummer. Aber wenn die Vorstellung durchnumerierter Menschen auch an utopischen Horror gemahnt – die Vorteile einer solchen Zahlen-Identifikation der Erdenbürger sind enorm und wohl auf die Dauer auch unumgänglich nötig; denn alle Daten lassen sich mit der Kennziffer verbinden – vom Lohn bis zur Einkommensteuer, von der Bundestagswahl bis zum Rentenempfang, von der Flugbuchung bis zur Bezahlung des Frisörs, alles wäre einfacher, zeitsparender zu bewerkstelligen.


Schier unermesslich wird das Feld der Anwendungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten von Zählern auf allen Gebieten unseres künftigen Lebens sein, von Dutzenden verschiedener Zähler. Denn so breit wie die Skala des Gebrauchs von Zählern, ist mittlerweile auch die Palette der Zäh-lerkonstruktionen. Aus einer aufs nötigste beschränkten Zahl von Basiskonstruktionen lassen sich durch bausteinartige Kombinationen und Ergänzungen eine solche Vielzahl und Vielfalt von Zähleinrichtungen schaffen, dass alle, auch extremste Bedingungen erfüllt werden können, seien es nun extreme Anforderungen an die Geschwindigkeit, an die Lebensdauer, an die klimatische Stabilität.


Das Angebot an Zählern reicht vom Meterzähler (dem Nachfahr des zweitausend Jahre alten Viatoriums oder Pedometers) bis zum elektronischen Zähler, vom mechanischen Stückzähler bis zum elektronischen Impulszähler. Die Apparate zählen Sekunden, Geld, Zentimeter, Umdrehungen, Prozente, Passanten, Maschen, Telefongespräche, Celsiusgrade, Autos, Stückzahlen, sie stellen Maschinen an und ab, steuern Produktionsabläufe, dosieren, mischen, messen, wägen, geben Signale, laut oder unhörbar – kurzum: die Zahl ist das Herz der Technik, und der Zähler fühlt ihr den Puls.




Datenschutz